"Silvie's lila Glocke"

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Sonntag, 15. Mai 2010, 18:24

 

"Silvie's lila Glocke"

Die Morgendämmerung brach heran und schwache Sonnenstrahlen zeigten sich am Himmel. Langsam schlenderte ich durch das hektische Treiben eines neuen Tages. Der Lärm war ohrenbetäubend. Lautes Geschrei in den Hauptstraßen und leises Säuseln in allen Gassen.

Ich ging dem Trubel aus dem Weg. Allein der Aufenthalt an einem solch verdorbenen Ort, erinnerte mich an mein altes Leben. Ich sah einen Laden mit geöffneter Tür. Die Musik, die hinausdrang war alles andere als fröhlich. Das Schild am Eingang hing im Halbdunkeln. Die Buchstaben "Silvie" zierten es.
"Ich glaube, du hattest genug, Chefin.."
sagte eine süße Stimme hinter der Bar. Die Wirtin trug ein ärmelloses Kleid und lehnte an der Wand.
"Es geht mich ja nichts an, aber in letzter Zeit trinkst du sehr viel."
Die Stimme war jung und trällerte wie ein Vogel bei der Brautschau.
"Ich glaube, es könnte nicht..."

"*Rika!"
Ein Glas schlug hart auf die Theke auf und schnitt ihr das Wort ab. Es herrschte Stille.
"Gut, du brauchst nicht auf mich zu hören."
Das Mädchen hinter der Theke nahm murrend das Glas um es zu füllen.
"Ich sage das nur, weil ich mir Sorgen mache. Du siehst in letzter Zeit erschöpft aus. Und die Dame, die vorher diese Bar hatte... du weißt..."

"*Rika!"
Erneut klirrte ein Glas auf der Theke. Eine Zigarette wurde angezündet.
"*Wenn du fertig bist, kannst du für heute gehen."
"Waaaas?"
"*Willst du das ich dich feuere?!"
Die Frau sprühte vor Zorn, aber das Mädchen mit dem Namen Rika zuckte nur mit den Schultern.
"Sei nicht so! Wenn du mich kündigst, bin ich ganz allein."
Das Glas, das sie auf die Theke stellte, roch nicht nach Alkohol. Es enthielt eine weiße Flüssigkeit.
"Der letzte Besitzer dieser Bar starb an einer Alkoholvergifrung. Ich möchte nicht, dass dir das auch passiert. Bis morgen..."

Das Klappern von Absätzen kam näher. Ich sprang hinter das Schild.
"Hallo?"
Rika sah die Gasse,  die jetzt in Morgenlicht getaucht war entlang.
"Silvie...?"
Ich wusste schon wen sie da rief..

Rika seufzte zum ersten Mal laut und ging dann die staubige Gasse hinunter. Erst nachdem sie nicht mehr zu sehen war, entschloss ich mich.  Ich wusste nicht, wie Silvie gelebt hatte, bevor sie starb. Sie war so schüchtern und still, es gab nicht viel über sie zu sagen.

Sie war diejenige, die ich nicht hasste.

Aber jetzt wollte ich ihren Namen stehlen. Zuerst dachte ich, es sei Rache. Das musste es sein. Rache an denen, die bessere Leben hatten als ich. Und Rache gegen mein eigenes hartes Schicksal. Schritt für Schritt ging ich durch die offene Tür in die Bar und flüsterte.
"Mama.."

Ihre blanken Augen, umrandet von Krähenfüßen, blinzelten.
"*Oh, du bist es!"
Sie lachte mit Träne in den Augen.
"*Du kleines Ding ... siehst genauso aus, wie damals, als du zum ersten Mal herkamst."
So wie sie es sagte, klang sie wie Rika.
"*Wo warst du denn? Du warst so lange weg.. was hast du denn die ganze Zeit alleine gemacht? Hier, trink das. Nimm nur. Ich gebe dir, was immer du willst. Egal was.."

"*So ist es gut, Kind."
Ihre Stimme klang affektiert und sie bot mir das Glas an. Ich fragte mich, ob sie auch Silvie beim ersten Mal warme Milch angeboten hatte.
"Tut mir leid", flüsterte ich zu mir selbst.

Ich bin Silvie.
Silvie mit der lila Glocke. Das kleine Mädchen, das Mama nachts fest in den Armen hielt.

 

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